Erprobung

Im Rahmen von MoviLe erfolgten ab Ende 2017 über einen Zeitraum von etwa sechs Monaten Pilotmaßnahmen zu den ausgetauschten speziellen BlendedLearning-Konzepten für chronisch und schwer kranke Jugendliche, in Österreich mit fünf Schülern der Heilstättenschule Linz (Neuromed Campus), in der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL) bei der Dothanschule und bei JuLe, der Online-Schule des BFI e.V. und der Bezirksregierung Detmold, mit vier Schülern.

 

Zielgruppe waren in Linz und OWL Jugendliche mit psychiatrischen und psychosomatischen Krankheitsbildern, zum Beispiel Autismus (zusätzlich auch Migrationshintergrund), schweren Depressionen, Sozialphobie oder extremer Schulangst. Die Jugendlichen beim Projektpartner in Linz sind mit etwa 11 bis 15 Jahren jünger als die Zielgruppe in OWL (Zielgruppenalter ca. 15-17 Jahre).

 

In OWL wird das Blended-Learning-Konzept für schwer kranke Jugendliche in verschiedenen, immer individuell abgestimmten Formen verwandt: Neben dem regulär vorgesehenen Klassenunterricht in der Dothan-Krankenhausschule mit ergänzendem Online-Lernen über den MokoDESK (mit seinen speziellen JuLeLehrern) gibt es in Einzelfällen Hausunterricht durch die Heimatlehrer, ergänzt durch Online-Learning via MokoDESK. Bei manchen Jugendlichen stellt die JuLeMokoDESK-Unterrichtung eine Interrimslösung dar, für die Zeit vor bzw. nach dem Besuch der Krankenhausschule oder wenn keine anderen Angebote mehr nutzbar sind. Es gibt in OWL also auch Jugendliche, die ohne Anbindung an eine Präsenz-Schule allein online per MokoDESK unterrichtet werden.

 

Die Nutzung des MokoDESK ist oft nicht als kurzfristige Übergangslösung zwischen stationärem Aufenthalt im Krankenhaus und Heimatschule, sondern langfristig angelegt, da hiermit zum Beispiel das Nachholen von Schulabschlüssen vorbereitet wird. Der MokoDESK wird als virtuelle Lernplattform und Schreibtisch genutzt, zum Verwalten und Abarbeiten von Lernmaterial und Aufgaben, aber auch für die schulische Kommunikation (Korrekturen, Nachfragen usw.). Die Kommunikation mit den JuLe-Lehrern findet in der Regel per Chat und MokoDESK-Nachrichten, bei Bedarf aber auch per Telefon oder Facetime/Skype statt. Bei großen persönlichen Schwierigkeiten kann es vereinzelt auch persönliche Treffen mit den Schülern geben. Normalerweise treffen sich Lehrer und Schüler aber nur einmalig zu Beginn der Beschulung und einmal im Jahr beim "JuLe-Tag".

 

An den Pilotmaßnahmen nahm ein Schüler teil, der fast ausschließlich über den MokoDESK unterrichtet wurde, allerdings hierfür täglich vier Stunden in die Dothanschule kam und in einem gesonderten Raum die Aufgaben selbstständig erledigte. Am regulären Schulleben gemeinsam mit den anderen Schülern beteiligte er sich nur in den Fächern Sport und Hauswirtschaft (gemeinsames Kochen). Eine andere Schülerin, die wie der zuerst erwähnte die Nachholung eines Schulabschlusses mittels MokoDESK anstrebte, erledigte täglich zwei bis vier Stunden Online-Aufgaben in dem gesonderten Raum der Dothanschule, beschäftigte sich zusätzlich aber auch zu Hause noch einmal zwei Stunden mit den Online-Aufgaben. Das MokoDESK-Konzept sollte bei ihr "Notlösung" dienen, für die Zeit, die sie noch auf der Warteliste zur Therapie/Krankenhausschule stand bzw. für die Zeit nach dem Besuch der Dothanschule. Die anderen Jugendlichen der Pilotmaßnahmen wurden ausschließlich über MokoDESK unterrichtet und nutzten das Angebot am Laptop/PC zu Hause. Für den Erfolg entscheidend sind nach Aussagen der deutschen Lehrer folgende Faktoren: 

  • Individualisierter Ansatz: "Für jedes Kind ein eigenes Konzept" (Lehrer).   Die Schüler müssen über eine gewisse Technikaffinität und relativ viel Selbstständigkeit verfügen.
  • Die Schüler müssen ein konkretes Ziel haben, das über den MokoDESK erreicht werden soll.
  • Reines Online-Lernen darf nur als "letztes Mittel" eingesetzt werden. Besonders erfolgreich ist das Konzept in der Regel, wenn es ein Zusammenspiel von Präsenz-Schule und Online-Schule gibt. Unterbrechungen und Abbrüche der virtuellen Schule sind daher keine Seltenheit, hängen jedoch nicht allein mit der Lernform, sondern mit den Krankheitsbildern der Jugendlichen zusammen.

 

Die Kooperation aller Stakeholder, insbesondere auch die Einbindung der Präsenzschule, gelingt nicht immer:

  • Am besten sind die Erfahrungen mit einem gemischten Konzept, bei dem die Jugendlichen von den Lehrern der Heimatschule zum Beispiel in der häuslichen Umgebung betreut werden und dieser Hausunterricht durch Onlinelernen mittels MokoDESK ergänzt wird, wobei sich die Lehrer beider Lernformen abstimmen.
  • Gut gelingt die Kooperation auch, wenn die durch die Präsenz-SchulLehrer vorgegebenen Inhalte und Arbeitsblätter über den MokoDESK bearbeitet werden.
  • Die direkte Einbindung der Stammschul-Lehrer in die Arbeit mit dem MokoDESK funktioniert in der Regel nicht, da die Arbeit mit dem MokoDESK eine spezielle, auf die Jugendlichen individuell abgestimmte Arbeitsweise erfordert und die Heimatlehrer oft nicht über den entsprechenden zeitlichen Ressourcen verfügen.  

 

Zum Teil mangelt die Zusammenarbeit aber auch an der "Austauschwilligkeit der Heimatlehrer" (so ein Projektmitarbeiter). 

 

Wie in Deutschland besteht in Österreich eine grundlegende Schulbesuchspflicht. Diese gilt auch für kranke Kinder und Jugendliche. Sie besuchen daher während ihres Krankenhausaufenthaltes den Unterricht in der Krankenhausschule. Der möglichst normal gestaltete gemeinsame Klassenunterricht ist Teil der Therapie, auch wenn eine differenzierte Betreuung mit alternativen Betreuungsformen der jugendlichen Patienten – z. B. mit Therapiehunden – organisatorisch und konzeptionell in der Heilstättenschule Linz verankert ist. Die Abstimmung zwischen medizinischem Personal, Betreuern, Ärzten, Sozial- und Sonderpädagogen sowie Lehrern ist intensiv. Schulisches Ziel für die meisten Schüler ist, das Schuljahr zu schaffen und die Wiederholung der Klassenstufe zu vermeiden. In der Regel besuchen die Jugendlichen die Heilstättenschule aber nur bis zu drei Wochen.

Während in OWL in der Regel spezielle JuLe-Lehrer den Online-Unterricht via MokoDESK übernehmen, wurde in Linz der MokoDESK von den regulären Lehrern der (Präsenz-)Heilstättenschule erprobt. Da keine zusätzlichen Ressourcen hierfür zur Verfügung gestellt wurden, bedeutete dies einen nicht unerheblichen Mehraufwand für die Lehrer.

 

Das Gros der Zielgruppe beim Standort der Heilstättenschule Linz-Neuromed weist psychosoziale Indikationen auf, bei denen Sozialphobie und Schulabsentismus einen wichtigen Faktor darstellt. Daher bestand von österreichischer Seite – insbes. seitens der beteiligten Ärzte – bezüglich des Einsatzes des MokoDESK Skepsis und Klärungsbedarf. Die Befürchtung bestand und besteht, dass Online-Learning wie mit dem MokoDESK diese Problematik tendenziell stützen könnte. 

 

Konzipiert wurde deswegen die Erprobung des MoviLe-Angebots bei Schülern der Heilstättenschule zunächst als freiwilliges Unterrichtsangebot zusätzlich zur normalen allgemeinen Schule, die sie nach dem Krankenhausaufenthalt besuchen, und auch bei Schülern, die über das Heilstättenschul-Angebot hinaus noch weitere Lernangebote wünschen. Im Vorfeld, im Pre-Pilot, wurde der Einsatz des virtuellen Lernraums im Übergang von Heilstättenschule und Heimat- bzw. neuer Regelschule erprobt. Dabei wurde jedoch schnell deutlich, dass sowohl seitens der Therapeuten wie auch der Jugendlichen selbst eine fortdauernde, begleitende Unterstützung der Heilstättenschule über den stationären psychiatrischen Aufenthalt hinaus nicht gewünscht wurde. 

 

Die eigentliche Pilotmaßnahme mit fünf Jugendlichen wurde daher im Rahmen des regulären Klassenunterrichts in der Heilstättenschule durchgeführt. Anders als in OWL sind die virtuellen MokoDESKs nicht persönliche virtuelle "Schreibtische", sondern werden aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken anonym genutzt.1 Einzelne Schüler nutzten dabei den MokoDESK in einer selbstständigen Übungs- und Lernphase, in Blöcken von etwa einer Stunde, insgesamt etwa drei Stunden wöchentlich. Konkrete schulische Ziele, die mit dem MokoDESK-Einsatz erreicht werden sollen (wie z. B. in Deutschland die Vorbereitung auf einen Schulabschluss) gab es nicht; bislang dienen diese Phasen mehr der Unterstützung einer persönlichen, eigenverantwortlichen Arbeitsweise der Patienten als ihrer rein schulischen Leistungsförderung. Voraussetzung bei den Schülern ist – wie oben erwähnt – Interesse an IT sowie ein gewisses Maß an Konzentrationsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit. 

 

Auch bei den Lehrern muss IT-Affinität vorhanden sein, für sie stellte aber v. a. die Mehrbelastung zur Einführung des MokoDESK ein Problem dar (Vertrautwerden mit der MokoDESK-Nutzung, Konzept zur Integration in den Unterricht, Erstellung von Unterrichtsmaterialien); alle Beteiligten sahen aber die Vorteile: Der MokoDESK mit seiner klaren, übersichtlichen "Schreibtisch"-Struktur mit Abarbeitung von Arbeitspaketen erleichterte die Einbeziehung und Lenkung von Internet/IT im Schulalltag. Den Schülern machte die Arbeit mit dem MokoDESK großen Spaß, die Nutzung förderte das eigenverantwortliche Lernen, und für die Lehrer bedeuteten diese Phasen eine Entlastung, da sie so mehr Zeit für die anderen in der Gruppe aufwenden konnten. Eine Herausforderung stellte aber die Kontrolle und Beobachtung der Online-Nutzung durch die Jugendlichen dar, die dazu tendierten, die Schulaufgaben beiseite zu lassen und in eine unangemessene Verwendung (soziale Medien, Spiele, Rückzug aus der realen in die virtuelle Welt), die ja sehr häufig Teil der psychosozialen Indikationen ist, zurückzufallen.